Ein Service von
www.ECO-World.de
Quelle:ECO-News - die grüne Presseagentur
Partner:  Der Spatz - Alternativer Anzeiger für Bayern, D-80999 München
Rubrik:Mode u. Naturkosmetik    Datum: 26.09.2001
Ein Schuh für 72 Pfennig
von Norbert Suchanek

Könnten Sie sich vorstellen, einen modernen Hightech-Markenturnschuh für 72 Pfennige herzustellen? Was sagen Sie, für 72 Pfennig würden Sie nicht einmal den kleinen Finger krumm machen? Passen Sie auf, daß Sie eines Tages nicht wegrationalisiert werden, denn Tausende von jungen Frauen in Indonesien können gegen einen Lohn von 72 Pfennig sehr wohl einen Top-Turnschuh fehlerlos herstellen.

Die Globalisierung oder richtiger ausgedrückt der globalisierte Radikalkapitalismus, der Rücksichtslos die Länder untereinander ausspielt und Devisenunterschiede ausnutzt, macht's möglich.

Willkür in den freien Exportzonen

Seit 1965 entstanden in den Ländern der Dritten Welt über 2000 sogenannte Maquilas. Das sind freie Exportzonen oder Sonderwirtschaftszonen, in denen die nationalen Arbeitsgesetze, soziale und tarifliche Bestimmungen kaum eine Rolle mehr spielen. Vor allem Konzerne der Textilindustrie machen sich diese Maquilas in rund 70 Entwicklungsländern zunutze und lassen dort in den sogenannten Sweatshops ihre Markenkleidung billigst herstellen. Die dort angestellten Arbeiterinnen - 70 bis 90 Prozent der Beschäftigten in den Maquilas sind Frauen - werden mit geringst möglichen Löhnen abgespeist. Arbeiterinnen, die in Indonesien in Zulieferbetrieben für bekannte Firmen wie Quelle, C&A, Otto Versand, Adidas und Nike Hosen, Blazer, Sportbekleidung und Turnschuhe fertigen, verdienten 1999 pro Arbeitstag - großzügig aufgerundet - rund zwei Mark. Informationen der internationalen Clean Clothes Kampagne zufolge reichte dieser niedrige Lohn aber nicht einmal in Indonesien aus, um davon auch nur die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken. Doch die Arbeiterinnen haben weder eine alternative Einkommenschance noch eine einflußreiche Gewerkschaft.

So kommt es, daß die Lohnkosten für einen Hightech-Sportschuh, der bei uns im Laden 180 Mark kostet, lächerliche 72 Pfennige betragen können. Würde man diesen Schuh lediglich um 72 Pfennige verteuern, also ihn statt für 180 Mark, für rund 180,72 Mark verkaufen, die Arbeiterinnen in Indonesien könnten mit dem Doppelten Lohn nach Hause gehen und damit wenigstens so viel verdienen, um ihren Grundbedarf an Nahrung, Wohnung, Transport und Bekleidung zu decken. Die Frage ist, warum machen dies die Firmen und ihre mehrere Millionen Mark pro Jahr verdienenden Manager nicht? Es geht doch wirklich nur um winzigste Beträge, mit denen vielen schon geholfen wäre. Der Konsument in den Industriestaaten wie Deutschland würde diese minimale Verteuerung doch gar nicht merken, oder?

Menschenrechtsverletzungen als Arbeitsalltag

Der niedrige Lohn ist aber nur die eine Seite der Maquila-Industrie. Die Arbeiterinnen der Freihandelszonen müssen auch Arbeitsbedingungen ertragen, die bei uns unvorstellbar und menschenunwürdig sind. So ergaben Interviews mit Arbeiterinnen in sechs vom "Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (PMK)" in Indonesien 1999 untersuchten Zulieferfabriken der Textilindustrie, daß z.B. "in der Kahoindah Citra-Fabrik (C&A-Zuliefer) Frauen aufgefordert werden, ihre Menstruation durch Öffnen ihrer Hosen unter Beweis zu stellen. Läßt sich eine Arbeiterin aufgrund ihrer Menstruation beurlauben, dann wird ihre Prämie für den ganzen Monat gestrichen... Geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz wie diese sind nicht nur in ein oder zwei Fällen sondern systematisch vorgekommen."

Hinzukommen Arbeitszeitregelungen von 60 bis 80 Stunden pro Woche, die an früh-industrielle Zeiten erinnert. In den "Sweatshops" in China, wo beispielsweise Handtaschen für Wal Mart oder Textilien für Esprit hergestellt werden, herrschen ähnliche Arbeitsbedingungen. Weltweit sind davon viel Millionen Frauen betroffen. Nach Schätzungen der International Labour Organisation (ILO) arbeiten etwa 27 Millionen Menschen in den Maquilas der Entwicklungsländer. Hinzukommen 40 bis 70 Millionen Menschen, die in den chinesische Sonderwirtschaftszonen beschäftigt sind. Schon haben sich einig Dritte Welt Länder von dieser Maquila-Industrie abhängig gemacht. So werden 40 Prozent der Exporte Mexikos, 50 Prozent der Exporte Guatemalas, 50 Prozent der Exporte der Dominikanischen Republik und 61 Prozent der Exporte von Honduras in den Maquilas hergestellt.

Nun könnte der Verbraucher in den reichen Industrieländern durch Konsumentendruck die Firmen dazu zwingen, sozialere Arbeitsbedingungen und gerechtere Löhne in den Zulieferbetrieben einzuführen. Dies würde vielen Menschen in den Entwicklungsländern das Leben erleichtern. Doch ein zweites Problem dieser globalen, auf wirtschafts- und Kulturmonopolismus ausgerichteten Industrie wird dadurch nicht beseitigt. Denn die konkurrenzlos billigen "Markenprodukte" werden nicht nur bei uns, sondern Weltweit vermarktet - westliche, von der Industrie vorgegebene Modetrends überschwemmen die Welt.

Einheimisches Handwerk verliert

Dominiert von US-amerikanischen, westlichen Werten und Lebensart, getrieben von der Ideologie des Freien Markts, gestützt von der massiven US-amerikanischen Vergnügungsindustrie Marke Hollywood habe die globale Monokultur bereits jede Ecke des Planeten infiltriert, sagt der Kanadier und Globalisierungskritiker Maude Barlow. Egal ob in China, Lateinamerika oder in Afrika: Junge Leute wollen die von der Werbeindustrie verbreitete Markenkleidung der Konzerne. Maude Barlow: "Überall in der Welt zerstört die nordamerikanische Marken-Kultur die lokalen Traditionen, einheimisches Handwerk und Wissen." Weltweit verloren bereits ungezählte Millionen von Menschen, zahlreiche kleine und mittelständische Firmen, die einheimische, traditionelle Kleidung herstellten, ihren lokalen Absatzmarkt an die Produkte der transnationalen Konzerne - auch in Deutschland. Allein bei uns ging die Zahl der Bekleidungsfirmen in den vergangenen 30 Jahren von 2955 im Jahr 1970 um über 71 Prozent auf 846 im Jahr 1998 zurück - Tendenz weiter fallend. Selbst der zeitweise wachsende Nischenmarkt von umweltfreundlich hergestellten Naturtextilien konnte diesen Trend nicht stoppen.

Die meisten von uns folgen weiterhin den Trends der Modebranche. Selbst wenn sie, wie die aktuellen Herbst- und Wintertrends zeigen, ökologisch und gesundheitlich bedenkliche Produkte wie Kunstlederhosen und Kroko-Jacken aus 100 Prozent Polyester beschichtet mit 100 Prozent Polyurethan anpreisen. Diese mit hohem Werbeaufwand, mit Hilfe von Pop-Stars und Medien gepuschte Konzern-Mode ist einfach für viele Jugendliche und jugendlich aussehen wollende attraktiver und oft auch billiger als gesunde, ökologische und sozial verträgliche Bekleidung kleinerer Hersteller.

Während seines gewaltfreien Kampfes gegen die britische Kolonisierung Indiens saß der berühmte Mahatma Gandhi jeden Abend eine Stunde oder zwei an seinem kleinen Handwebstuhl und webte. Er hoffte, daß alle Inder seinem Beispiel folgten. Denn seiner Meinung nach wäre Indien erst dann wirklich frei, wenn es sich vom Import, im Ausland industriell hergestellter Stoffe und Kleidung unabhängig macht. Das, was moderne Ökologen heute zum Schutz der Umwelt erkannt haben, war Ghandis Maxime, um die indische Bevölkerung vor Armut und Ausbeutung zu bewahren: Produkte weitestgehend regional produzieren, regional handeln, regional verbrauchen - Wochenmarkt statt Weltmarkt, Selbstversorgung statt Import. Was unsere zweite Haut angeht, sind wir von diesem Ideal so weit entfernt wie nie zuvor. Und wir verlieren freiwillig jeden Tag ein Stückchen Freiheit mehr.

In einem aktuellen Interview für das brasilianische Nachrichtenmagazin VEJA, (Nr.7/2001), sagte der Ex-Bundeskanzler und Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt sinngemäß: Wenn in der Dritten Welt mit "Made in Germany-Qualität", bei geringeren Kosten produziert werden kann, dann müsse eben der Arbeiter in Europa sich mit niedrigeren Löhnen abfinden oder andere Arbeit suchen. Ob sich Helmut Schmidt tatsächlich mit 72 Pfennig für die Herstellung eines Turnschuhs zufriedengäbe?

Weitere Informationen zum Thema Mode:
"Das Kreuz mit dem Faden", Kampagne für "Saubere" Kleidung, DGB-Bildungswerk, Telefon 0211-4301-317, Fax 4301-387.
"No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht", von Naomi Klein, Riemann Verlag, ISBN 3-570-50018-7



Weiterverwendung nur mit Genehmigung des Autors und der Redaktion
 
Weitere interessante Meldungen zum Thema finden Sie auf www.ECO-World.de, dem Portal für ein bewusst genussvolles Leben & ökologisch nachhaltiges Handeln.